AW: Chronische Krankheit - offene Karten oder lieber nicht
@daydreamer
ich bin zwar keine frau, kann dir aber als nicht selbst betroffener gerne meine erfahrung schildern. habe mehrere treffen mit einer betroffenen gehabt. sie hatte es mir, glaube ich, beim dritten date, eher beiläufig erzählt. zunächst habe ich da gar nicht so recht drauf reagiert, vielleicht weil ich schon einiges für sie empfunden habe. wohl eher aus unkenntnis der weit verbreiteten erkrankung war ich die nächsten tage emotional abber völlig am boden. ich habe mich selbst nicht mehr wiedererkannt. es hat mich sehr mitgenommen, erst recht, als ich mich selbst etwas schlauer gemacht habe.
sie selbst hat ihre krankheit nie groß zur sprache gebracht, und ich wollte sie nicht durch vielleicht unangenehme fragen in bedrängnis bringen, zumal wir uns noch nicht wirklich kannten. mit der zeit - wir trafen uns noch einige male - konnte ich meine befürchtungen abbauen und wurde gelassener.
mir wurde klar, dass ihre krankheit natürlich auch einfluss auf ihr verhalten hatte. sie selbst sprach dieses nie direkt an, und ich blieb eher zurückhaltend mit fragen.
nur einmal sprach sie mich direkt darauf an, und wir unterhielten uns etwas darüber, aber nicht wirklich erschöpfend. somit hatte ich das gefühl, dass sie selbst nicht wirklich darüber sprechen, sondern es anderen gegenüber eher ignorieren wollte. das empfand ich als sehr bedrückend, denn ich musste mir selbst einen reim auf das eine oder andere verhalten von ihr machen. das war für mich emotional alles andere als einfach.
am ende muss ich sagen, war ihre krankheit für mich gar nicht das problem, sondern ihre konsequente verschwiegenheit über diese. es wäre für mich deutlich einfacher gewesen, wenn sie sich mir selbst anvertraut hätte, sodass ich sie in einigen dingen einfach von vornherein besser verstehen konnte. ich selbst hätte damit überhaupt kein problem gehabt.
inwieweit und wann sich betroffene anvertrauen sollten, ist natürlich nicht pauschal zu beantworten. ich selbst würde als besten zeitpunkt wohl den moment wählen, in dem man merkt, dass zwischen beiden eine gewisse sympathie ist, die man vielleicht ausbauen könnte. als nicht betroffener fände ich es klug, wenn mein gegenüber die initiative ergreift und möglichst offen darüber spricht. es geht manchmal ja nicht mal um die krankheit an sich, sondern um den einfluss dieser auf das tägliche leben und verhaltensweisen. der betroffene selbst sollte der experte für seine krankheit sein und kann eben dieses nicht von anderen erwarten. indem du dich selbst erklärst, kannst du deinem gegenüber auch seine angst nehmen, die im augenblick wahrscheinlich viel größer ist als bei dir.
wie das gegenüber auf deine offenbarung reagiert, ist natürlich immer von der person und von der art und weise abhängig. es gibt menschen, die können damit umgehen und andere eben nicht. ich war anfangs erschüttert und konnte das erst im laufe der zeit abbauen. und die andere frage ist, wie du als betroffener mit den reaktionen der anderen umgehen kannst.
ich möchte dir aber vor allem mut machen. mir selbst war am ende unwichtig, ob meine verehrte nun die krankheit hat oder nicht. entscheidend für dieses gefühl ist aber, dass du zeigst, dass du mit deiner krankheit selbst "gut zurecht kommst", wenn man das so überhaupt sagen kann. wenn beim gegenüber das gefühl aufkommt, dass du selbst sehr darunter leidest und eigentlich nicht damit klar kommst, wird dieses es auch nicht können.
wenn es ansonsten gut passt, kann eine chronische erkrankung schnell in den hintergrund geraten und steht nicht "im weg"

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alles gute und viel glück
maddib